M. Espagne: L'histoire de l'art comme transfert culturel

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Title
L'histoire de l'art comme transfert culturel. L'itinéraire d'Anton Springer


Author(s)
Espagne, Michel
Published
Paris 2009: Belin
Extent
304 S.
Price
€ 29,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
David Blankenstein, Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik, Technische Universität Berlin

Die Geschichte der Kunstgeschichte erfährt in Frankreich in den letzten Jahren eine neue Aufmerksamkeit. Der von Roland Recht herausgegebene Tagungsband "Histoire de l'histoire de l'art en France au XIXe siècle", der auch deutsche Modelle der Kunstgeschichte berücksichtigt, das im Aufbau befindliche "Dictionnaire critique des historiens de l’art actifs en France de la Révolution à la Première Guerre mondiale" des INHA – auch hier finden wir Einträge über deutschsprachige Protagonisten der Kunstgeschichte wie Athanasius Raczynski, den Kunsthändler Otto Mündler, Heinrich von Geymüller und Wilhelm Fröhner –, sowie in Kürze das "Dictionnaire des historiens de l’art allemands" von Michel Espagne und Bénédicte Savoy sind Beispiele für Untersuchungen, die nicht nur über die Ländergrenzen schauen, sondern mehr oder weniger explizit auch transnationale Phänomene in der Kunstgeschichtsschreibung aufzuspüren versuchen.1

In dem vorliegenden Band stellt der Autor heraus, dass die Kunstgeschichte, die unter allen Humanwissenschaften im 19. Jahrhundert am offenkundigsten Kulturtransferphänomene als Objekt ihrer Untersuchung gewählt hat – einerseits in der Beschäftigung mit europaweiten Transferprozessen von Formen und Techniken, andererseits in der Beschreibung einer Genealogie der Kunst mit ihren Kontinuitäten, Brüchen und Renaissancen – selbst Produkt vielfältiger Transferprozesse ist. Sicher hat sich auch die Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert zur Fügung nationaler Identität gebrauchen lassen, jedoch haben ihre Methoden, bedingt durch die großenteils dem außergermanischen Raum (Griechenland, Italien, Frankreich etc.) entstammenden Objekte, stets einem Wettbewerb der Aneignungs- und Interpretationsmuster unterlegen, der sich nicht auf einen nationalen Rahmen reduzieren lässt.

Wenn sich eine einfache aber wichtige Erkenntnis aus Michel Espagnes Buch ziehen lässt, ist es die, dass es sich nicht lohnt, die Kunstgeschichte in ihrer Institutionalisierungsphase auf einige ihrer Glanzlichter beschränkt zu lesen, da die Brüche und Polaritäten, die gemeinläufig ausgemacht werden, dem genauen Blick oft nicht standhalten. Durch eingehende Berücksichtigung des Umfeldes, im engeren Sinne das der Lehrer, Schüler und (auch fachfremder) Kollegen, im weiteren Sinne das fremdländischer Wissenschaftsschauplätze, sowie durch die präzise Lektüre der kunsthistorischen Schriften gelingt es dem Autor, das Bild einer äußerst dynamischen Disziplin im Werden zu zeichnen. Darin differenzieren sich vermeintlich klare Zuschreibungen von methodischen Ansätzen zu einzelnen Figuren der Kunstgeschichte und die beliebte Lehrer-Schüler-Genealogie.

Anton Springer ist, in Espagnes Worten, der „guide“ der Untersuchung. Die Beschäftigung mit dem ersten ordentlichen Professor für Kunstgeschichte an einer deutschen Universität (in Bonn ab 1860), versucht, wie Johannes Rößlers ebenfalls 2009 veröffentlichte Dissertation über Anton Springer und Carl Justi2, die Lücke zu schließen, die in der Wahrnehmung der Kunstgeschichte zwischen den illustren Namen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts und den „Neubegründern“ der Kunstgeschichte im frühen 20. Jahrhundert besteht. Springers Stationen zwischen Prag, Wien, Bonn, Straßburg und Leipzig sind stets durch die Besonderheiten der jeweiligen intellektuellen Milieus gekennzeichnet, in deren Reflektion sich seine Idee der Kunstgeschichte als historische Wissenschaft entwickelt. Es sind die Reisen zu den ursprünglichen Orten der Kunst, die seine Zweifel an der Legitimität philosophisch-ästhetischer Kunstbetrachtung Hegelscher Prägung nähren und den Beginn seiner Beschäftigung mit der Kunstgeschichte markieren. Springers weiterer intellektueller Weg ist gekennzeichnet von dem, was Espagne die „Porosität der wissenschaftlichen Disziplinen“ nennt, die Springers Auseinandersetzung mit Vertretern philosophischer, philologischer, kulturgeschichtlicher und psychologischer Ansätze ermöglicht und grundlegende Konstituenten seiner als streng wissenschaftlich verstandenen kunsthistoriographischen Methode bilden lässt. Springers Einbeziehung ökonomischer, sozialer und politischer Bedingungen der Entstehungszeit der Kunstwerke, aber auch in seinem Bewusstsein der Wahrnehmungspsychologie tradiert sich, bei aller Verschiedenheit im Einzelfall, bis in die Methodiken der auf ihn folgenden Generationen von Kunsthistorikern: Spuren von Springers Lehre und seinen Einflüssen finden sich sowohl in den Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen Wölfflins als auch in den Ansätzen Warburgs. Die intellektuelle Biographie des Begründers der Kunstgeschichte in Deutschland spiegelt kaleidoskopisch die Annäherungsweisen an die Kunstgeschichte, der spät im 19. Jahrhundert in verschiedenen Handbüchern, darunter Anton Springers vielfach aufgelegtes Handbuch der Kunstgeschichte, ein definitorisches Fundament bereitet werden sollte.

Um die interdisziplinären Transferprozesse und die Methodenbildung, die die Entwicklung der Kunstgeschichte bestimmen, auszuleuchten, beschränkt sich Espagne nicht nur auf Anton Springers Lebensweg: Die Franz Kugler, Jacob Burckhardt, Carl Justi, Wilhelm Thode, Hippolyte Taine, Louis Courajod unter anderen gewidmeten Kapitel zielen darauf ab, der Untersuchung eine breite und fundierte Basis zu geben, das Register der Kunsthistoriker und Ästhetiker am Ende des Bandes schließlich versammelt über 150 Namen. Die Entstehung der Disziplin im (nicht nur) deutschsprachigen Raum, wird so deutlich, erfolgte in einem Netz von Freundschaften, Bekanntschaften, Lektüren und Reisen. Die Dynamik der wissenschaftlichen Entwicklungsarbeit ist, wenn man so will, eigentlicher Protagonist der Studie von Michel Espagne, und dies unterscheidet das vorliegende Buch von vielen Geschichten der Kunstgeschichte, die bislang geschrieben wurden.

Den Lagerkämpfen zwischen Verfechtern des Nachlebens der Antike und Vertretern der Originalität romanischer und gotischer Kunstformen, der Rolle der Gegenwartskunst des 19. Jahrhunderts auf die Wahrnehmung alter Kunst und dem Einfluss der sich entwickelnden Psychologie auf die Kunstbetrachtung wird hier die Bedeutung beigemessen, die es braucht, um die Transferprozesse plausibel begründen zu können. Erhellend ist in diesem Zusammenhang auch die Aufdeckung der internationalen Verbindungen zwischen Kunsthistorikern und -theoretikern, die zum einen den Grad der Permeabilität linguistischer Grenzen aufzeigt sowie die gegenseitige Beeinflussung der Interpretationsmuster von Kunst beleuchtet: Die Vermittlungsbestrebungen des „Chartisten“ und Karl Lamprecht-Übersetzers Albert Marignan unter deutschen und französischen Mediävisten etwa, oder die deutsche Rezeption des Patrimoine-Konzepts durch den Dehio-Schüler Paul Clemen, Carl Justis Nachfolger an der Bonner Universität. Verbindungen zwischen deutschen und deutschen, französischen und anderssprachigen Forschern werden durch die Erforschung ihrer persönlichen und intellektuellen Beziehungen beschrieben, vor allem jedoch durch Spurensuche in den Fußnoten und Aussagen der Quellentexte, wobei naturgemäß manche angezeigte Verbindungslinie schlüssige Vermutung bleiben muss.

Zum Abschluss sei eine ebenso nachvollziehbare wie verblüffende Beobachtung zur Empfänglichkeit der Kunstgeschichte für Transferphänomene angeführt, die Michel Espagne in seinem Resümee anführt: Nicht wenige damals im deutschsprachigen Raum aktive Kunsthistoriker (Fiorillo, Springer, Dehio, Janitschek, Meier-Gräfe um nur einige zu nennen) waren keine Deutschen oder Österreicher, stammten aus Randgebieten des Reiches oder waren im Ausland geboren und aufgewachsen. Diese in der Disziplin verwurzelte Sensibilität für Grenzbereiche und fremde Territorien vermag man nach der Lektüre dieses unbedingt empfehlenswerten Bandes nachzuvollziehen.

Anmerkungen:
1 Roland Recht u.a. (Hrsg.), Histoire de l'histoire de l'art en France au XIXe siècle, Paris 2008; INHA (Hrsg.), Dictionnaire critique des historiens de l’art actifs en France de la Révolution à la Première Guerre mondiale, im Aufbau; Michel Espagne / Bénédicte Savoy (Hrsg.), Dictionnaire des historiens de l’art allemands, Paris 2010.
2 Johannes Rößler, Poetik der Kunstgeschichte. Anton Springer, Carl Justi und die ästhetische Konzeption der deutschen Kunstwissenschaft, Berlin 2009.

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Published on
18.09.2010
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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