Stephen G. Gross, Assistenzprofessor an der New York University, begann die Arbeit zu diesem Buch als Dissertation bei Gerald Feldman. Er widmet sich darin der Frage, wie sich bereits 20 Jahre nach dem folgenschweren Zusammenbruch der Wirtschaft in Zentraleuropa im Zuge des Ersten Weltkriegs Deutschland ein informelles Imperium in Südosteuropa schaffen und als größter Handelspartner der dortigen Agrarländer die Versorgung der Region mit wichtigen Industriegütern dominieren konnte (S. 15).
Mit Freude liest man die gut strukturierte Einleitung, welche die Kernpunkte der Arbeit konzise darlegt. Gleich zu Beginn betont Gross den Buchtitel erläuternd die historische Kontinuität Deutschlands als Export-Nation, welche bis heute das Fundament für den Einfluss Deutschlands in Europa und in der Welt bildet. In der Arbeit stehen die beiden Länder Jugoslawien und Rumänien als Ziele der expansiven Wirtschaftspolitik Deutschlands im Fokus, sodass sich bereits in der Einleitung die Frage aufdrängt, warum nicht auch Bulgarien Teil der Untersuchung ist (S. 3). Dies verwundert, da das damalige deutsche Südosteuropa-Konzept auch dieses Land mit einschloss. Die präzise formulierten Forschungsfragen (S. 7) schließen an die Darstellung der historischen Entwicklung der historiographischen Forschung über die von deutschen Geschäftsleuten und Wissenschaftlern getragene wirtschaftliche Penetration Südosteuropas, welche Gross sinnvollerweise bis ins Wilhelminische Kaiserreich zurückverfolgt.
Konzeptuell schließt das Buch an jüngere historiographische Arbeiten über das nationalsozialistische Imperium an.1 Innovativ ist die Verwendung der theoretischen Überlegungen der US-amerikanischen Politikwissenschaftler Keohane und Nye zu internationaler Kooperation und Soft-Power. Obwohl im Buch nicht erwähnt kommt Gross der Forderung nach, Kulturgeschichte und Wirtschaftsgeschichte im Hinblick auf Synergien zu versöhnen.2 Sowohl wirtschafts- als auch kulturhistorisch Interessierte kommen hier auf ihre Kosten.
Das Buch ist in zwei Großkapitel gegliedert. Das erste trägt den Titel „German power in the Wilhelmine Empire and the Weimar Republic“ und zeichnet zunächst die Entwicklung der liberalen Weltpolitik in Deutschland nach, welche sich von der Idee eines formalen Kolonialreichs verabschiedete und in der ökonomischen Expansion nach Südosteuropa die Zukunft sah. Nach dem Ersten Weltkrieg begünstigte die Aufteilung der Region in Kleinstaaten diese Bestrebungen. Zwar hatte das kontinentalimperiale Projekt Hindenburgs und Ludendorffs großen Schaden angerichtet und Jugoslawien und Rumänien fanden sich als Verfechter des Versailler Systems in Opposition zu Deutschland wieder, dennoch gelang deutschen Unternehmen und Handelsorganisationen ab 1925 der Aufbau von geschäftlichen Kontakten und Netzwerken in Südosteuropa. Dabei spielte die Leipziger Messe eine besondere Rolle. Für die ideologisch-konzeptionelle Unterfütterung des deutschen Strebens nach Dominanz in der Region sorgte das Schlagwort „Mitteleuropa“. Das 1929 in Dresden gegründete Mitteleuropa-Institut baute Sachsens Rolle als „Tor zum Südosten“ weiter aus und sollte in Südosteuropa die auswärtige Kulturpolitik gegenüber dem starken Konkurrenten Frankreich durchsetzen. Die Weltwirtschaftskrise und die mit ihr einhergehende Deglobalisierung verstärkte diese ökonomische Stoßrichtung. Abzug von westlichem Kapital und neue Zollmauern führten zu einer geopolitischen Neuausrichtung des Außenhandels weg von der seit 1924 unter Stresemann bevorzugten Westorientierung. Aber auch den von der Krise schwer getroffenen Agrarländer Jugoslawien und Rumänien erschienen engere Handelsbeziehungen mit Deutschland ökonomisch attraktiv zu sein. Zudem hatten sie mit Deutschland im Gegensatz zu Polen und der Tschechoslowakei keine schwelenden Grenzkonflikte, welche eine diplomatische Annäherung erschwert hätten.
Der zweite Teil des Buches beleuchtet die deutsche Außenwirtschaft und Südosteuropa in der Zeit des „Nazi imperialism“. Nachdem die deutschen Wirtschaftseliten in der Zeit der Weimarer Republik den Grundstein dafür gelegt hatten, konnten sie nach 1933 ihre Vision eines informellen Imperiums in Südosteuropa in enger Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Regime realisieren. Da die staatlich dirigierte Ökonomie durch die unaufhörliche Suche nach Zufuhr für Hitlers Kriegsmaschinerie an einer Reihe struktureller Probleme litt – Schachts „Neuer Plan“ konnte die Wirtschaft nur für zwei Jahre stabilisieren –, gewann die Vermittlungsarbeit privater Institutionen wie dem Mitteleuropäischen Wirtschaftstag und der Deutsch-Rumänischen Handelskammer sogar an Bedeutung. Deren Einsatz seit den 1920er-Jahren war es zu verdanken, dass das „Dritte Reich“ seinen Handel mit Südosteuropa stabilisieren konnte. Sie übernahmen in der nationalsozialistischen Polykratie nun auch Aufgaben in der Kulturdiplomatie wie z.B. Stipendienprogramme für einen Aufenthalt Studierender aus Südosteuropa an deutschen Universitäten. Gleichzeitig näherten sich die konservativen Wirtschaftseliten dem NS-Regime z.B. in Fragen des Antisemitismus an – deutsche Ökonomen sahen in den Juden Südosteuropas einer der Gründe für die wirtschaftliche Rückständigkeit der Region. Der Umbau der südosteuropäischen Wirtschaft hatte die Schaffung von Abhängigkeiten und eine bessere Anpassung an die Bedürfnisse Deutschlands zum Ziel, auch wenn Südosteuropa von Projekten wie dem Sojabohnenanbau profitierte. In den Jahren 1939–1940 erreichte das informelle Imperium schließlich seinen Zenit, danach verdrängten zunehmend staatliche Funktionäre die Privaten. Das nach dem Sieg über Frankreich und der Zerschlagung Jugoslawiens errichtete formale Imperium büßte an Effizienz und Produktivität ein.
Ein Höhepunkt der Arbeit ist die Betrachtung der deutschen Entwicklungshilfe in Südosteuropa, welche von einem Vergleich mit der britischen Entwicklungsökonomie ausgeht. Sowohl deutsche als auch britische Betrachter machten in den ärmeren Regionen ihrer imperialen Sphäre eine Malthusianische Krise aus. Dieses Ungleichgewicht zwischen zu hohem Bevölkerungswachstum und zu geringer Ressourcenproduktion an der Peripherie könne nur mit Unterstützung des Zentrums überwunden werden. Und diesem jeweiligen Zentrum nutzten die rassistisch unterlegten Entwicklungsdoktrinen auch in erster Linie. Weiters gelingt im Buch die Differenzierung zwischen den Soft- und Hard-Power Strömungen in der deutschen Expansionspolitik sehr gut. Der Nachzeichnung der Diskussionen über verschiedene Zielsetzungen innerhalb der Institutionen und ihr Wettbewerb mit anderen Organisationen wird der nötige Platz eingeräumt. In der Betrachtung der Zeit nach 1941 ist der Vergleich der unterschiedlichen Strategie Deutschlands gegenüber Jugoslawien einerseits und Rumänien andererseits ebenfalls aufschlussreich.
Das vermutlich größte Manko der Arbeit ist, dass Gross weder Quellen noch Sekundärliteratur in serbokroatischer oder rumänischer Sprache verwendet, was eine stärkere Einbeziehung der südosteuropäischen Perspektive auf das informelle Imperium Deutschlands in Jugoslawien und Rumänien verhindert. So hätte man auch näher ausführen können, dass gerade der deutschlandfreundliche und korporatistisch eingestellte rumänische Außenminister Mihail Manoilescu den ungleichen Tausch zwischen Agrar- und Industrieländern thematisierte und seine Forschung als Vorarbeit zur im Buch diskutierten Prebisch-Singer-These gilt.3 Dem Fokus auf private Akteure ist es vermutlich wiederum geschuldet, dass manche Forschungen über staatliche Soft-Power keine Erwähnung finden.4
Das gesamte Buch ist geradlinig aufgebaut und wegen seiner klaren Sprache sehr gut lesbar. Gross gelingt eine Synthese des umfangreichen und unterschiedlichen Forschungsstands zur Wirtschaftspolitik Deutschlands gegenüber Südosteuropa im untersuchten Zeitraum und kann in Zukunft stellvertretend für diesen angeführt werden. Darüber hinaus bietet „Export Empire“ eine spannende historische Perspektive sowohl auf die Struktur heutiger Wirtschaftsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern als auch der einsetzenden Deglobalisierung.
Anmerkungen:
1 Dirk van Laak, Über alles in der Welt: deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005; Mark Mazower, Hitler’s Empire: Nazi Rule in Occupied Europe, London 2008; Shelly Baranowski, Nazi Empire: German Colonialism and Imperialism from Bismarck to Hitler, New York 2011.
2 Hartmut Berghoff / Jakob Vogel, Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Ansätze zur Bergung transdisziplinärer Synergiepotentiale, in: Dies. (Hrsg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt am Main 2004, S. 9–41.
3 Joseph L. Love, Manoilescu, Prebisch, and the Thesis of Unequal Change, in: Rumanian Studies 5 (1980–1986), S. 125–133.
4 Z.B. Holger Impekoven, Die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Ausländerstudium in Deutschland 1925–1945, Göttingen 2013.